Zum Inhalt springen

Predigt zur Seligsprechung von Erzbischof Eduard Profittlich

Kardinal Christoph Schönborn OP

6. September 2025

Weisheit 3, 1-9 Rm 8,31b-39 Joh 17,11b-19


Am 4. September, vorgestern, wurden in einer fast 24 Stunden dauernden Lesung einfach nur Namen genannt, Namen von Opfern, mehr als 23.000 Namen, die alle in sowjetischen Gefangenenlagern oder in Sibirien gestorben sind. Hinter jedem dieser Namen stand eine Geschichte, ein Gesicht, ein Herz, ein Mensch. Keiner war vor Gott namenlos, anonym, einfach eine Nummer, eine von zahllosen Zahlen. Danke für die Initiative der Dominikaner, meinen Mitbrüdern! Danke allen, die an dieser Lesung mitgewirkt haben. Dank sei vor allem Gott selber, der uns die Zusage gemacht hat, dass alle diese Namen in seine Hand geschrieben sind. In der ersten Lesung hörten wir: „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand und keine Folter kann sie berühren“ Õigete hinged on aga Jumala käes ja neid ei puudutada ükski piin. Ein Name wird in diesen Tagen viel genannt, einer unter 23.000: Erzbischof Eduard Profittlich. Keiner der anderen Opfer wird deswegen vergessen, auch wenn sein oder ihr Name nur einmal genannt wurde in den langen Stunden der Lesung aller Namen.


Ich erinnere mich an eine Katechese von Papst Benedikt. Es war die letzte einer Serie von Katechesen über Heilige. Sie war den zahllosen unbekannten Heiligen gewidmet, deren Namen im Buch des Lebens bei Gott verzeichnet sind, auch wenn sie nie namentlich in den Heiligenkalender der Kirche aufgenommen wurden. Diese Katechese ist mir unvergesslich. Heute bewegt sie mich besonders. Diese unbekannten Heiligen sind die unmittelbare und tiefste Begründung des heutigen Aktes der Seligsprechung von Erzbischof Profittlich. Sie, die Gläubigen seiner Diözese Tallinn, sind der Grund, warum er heute zur Ehre der Altäre erhoben wird. Weil er sie nicht allein lassen wollte, ist er nicht nach Deutschland zurückgekehrt, im klaren Wissen, dass das fast unausweichlich zu seinem Tod führen wird.


In der frühen Kirche, etwa in den Paulusbriefen, werden die Gläubigen „Heilige“ genannt. Um dieser Heiligen willen, um seiner Herde, seiner Schafe willen war P. Profittlich bereit, sein Leben hinzugeben. Er hätte kluge Argumente vorbringen können, um das zu vermeiden, etwa um später als Überlebender helfen zu können. Die vom ihm erbetene Weisung des Papstes Pius XII. kam nicht in der Form eines Befehls, sondern eines Rates: Er solle seine Entscheidung „vor allem unter Berücksichtigung des Wohles der ihm anvertrauten Seelen treffen“. Seiner Familie schrieb er, nachdem er die Entscheidung getroffen hatte, dass „es sich ja wohl geziemt, dass der Hirte bei seiner Herde bleibt und mit ihr Freude und Leid gemeinsam trägt“. Sehr berührend ist seine Ehrlichkeit: „Ich muss sagen, dass der Entschluss zwar einige Wochen der Vorbereitung kostete, ich ihn dann aber nicht etwa mit Furcht und Angst gefasst habe, sondern sogar mit großer Freude“. Diese Freude leuchtet aus den Worten des Apostels Paulus in der heutigen Lesung aus dem Römerbrief: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ Kes võib meid lahutada Kristuse armastusest? Mit dieser Freude Christi konnte der Erzbischof seine Gläubigen und wohl auch viele andere Menschen berühren, trösten und stärken.


Eine Seligsprechung ist nie nur auf eine Person ausgerichtet. „Wer glaubt ist nie allein!“ hat Papst Benedikt gesagt. Die Entscheidung von Erzbischof Eduard war getragen vom Gebet der Gläubigen für ihren Bischof. Einmal werden wir erfahren, werden sehen und begreifen, wie sehr unser eigener Weg unsichtbar beschützt und geführt war durch das Gebet und das gläubige Leben vieler Menschen. Die heutige Seligsprechung schließt sie alle mit ein, die P. Eduards Weg geprägt haben, vor allem die Eltern der zehn Kinder, von denen er das achte war, seine Lehrer, seine Freunde (wie wichtig sie sind!) und die kirchlichen Orte und Personen, die ihn geprägt haben. Wer kann jemals ermessen, welche Personen, Situationen, Erfahrungen jeden von uns geprägt und herausgefordert haben! Erst das ganze Gefüge machte es möglich, dass in entscheidender Stunde ein so klares Ja zum möglichen Martyrium gesprochen werden konnte wie das von Erzbischof Profittlich. Es ist sein ganz persönliches Ja gewesen und doch ist es mehr als das: es ist das Ja der Kirche zum Willen Gottes, das sich im Ja des Einzelnen ausspricht. Persönliche Heiligkeit ist immer getragen von der Heiligkeit der Kirche, der Braut Christi. Darum ist der heutige Tag ein Tag der Freude über die Kirche, besonders über die Kirche in Estland.


Die 23.000 Namen der Opfer, zu denen unser heutiger Glaubenszeuge gehört, erinnern daran, dass das Leben aller Einzelnen hineingestellt war in eine äußerst dramatische Zeit. Der Akt der heutigen Seligsprechung kann nicht davon absehen, was damals in Europa und in der Welt geschah. Es war eine unvorstellbare Entfesselung der Macht der Hölle. Hitler in Deutschland, Stalin in der Sowjetunion. Der Pakt der beiden zur Aufteilung der Beute in dem wohl wahnsinnigsten Krieg, den es je gegeben hat. Kaum war die Beute aufgeteilt, fiel der eine Räuber über den anderen her, um alles an sich zu reißen: „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“. Die KZs und der Gulag waren der Ausdruck der äußersten Menschenverachtung. Welch ein Kontrast ist die Würde mit der Erzbischof Profittlich sich den NKWD- Beamten überließ. Der Glaube gab ihm diese Ruhe und Festigkeit. Als einer von Millionen Opfern der beiden menschenmordenden Ideologien starb er am 22. Februar 1942.


Die Seligsprechung von Erzbischof Eduard Profittlich findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem alte Wunden wieder aufzubrechen drohen. Gerade in dieser Gegend der Welt ist diese Sorge besonders gegenwärtig. Krieg gehört wieder zum bitteren Alltag dieser Region. Friedenshoffnungen werden auf die Geduldsprobe gestellt. Es ist nicht der einzige Krisenherd in der heutigen Welt. Papst Franziskus sprach oft davon, dass wir uns in einem „Dritten Weltkrieg in Einzelstücken“ (una terza guerra mondiale a pezzi) befinden. Zu diesem Weltkrieg gehört auch die weltweite Christenverfolgung. Auch andere Religionen kennen regionale Verfolgungen, aggressive Religionspolitik, die Religionen nationalistisch missbrauchen. Doch sind die Christenverfolgungen bei weitem die zahlenmäßig größte Realität.


In dieser Situation bekommt das Zeugnis des seligen Märtyrerbischofs eine besondere Bedeutung. In seiner Heimat, Deutschland wütete bereits die systematische Verfolgung der Juden, die bald zur bitteren Wirklichkeit im ganzen von Deutschland erbeuteten Osten Europas werden sollte. Dass der Nationalsozialismus oder der Sowjetkommunismus die Christen schonen würde, erwies sich bald als Illusion. All das kann sich auch in unseren Tagen wiederholen. Die Haltung von Erzbischof Profittlich ist deshalb für heute so kostbar. Sie zeigt den Weg des Christen in Zeiten der Verfolgung. Zwei Worte von Eduard Profittlich haben mich besonders berührt. Sie sind erfüllt von dem Trost und der Freude, die nur von Gott selber kommen können. Er schrieb, nach dem Entschluss nicht nach Deutschland zurückzukehren: „Ich tue das mit größter Bereitwilligkeit, ja ich kann sagen, mit großer Freude. Wenn ich auch in keinerlei Weise voraussagen kann, wie nun mein Lebensweg verlaufen wird, welche Opfer noch auf mich warten, so gehe ich diesen Weg mit großem Vertrauen auf Gott, fest überzeugt, dass, wenn Gott mit mir gehen wird, ich nie allein sein werde. Und ich habe auch sichere Hoffnung, dass das Opfer, das ich so für die Interessen des Reiches Gottes hier im Lande bringe, auch so oder so nicht ohne Frucht sein wird.“


Die frühen Christen sagten: sanguis martyrium – semen christianorum! Das Blut der Märtyrer ist der Samen, der Christen hervorbringt. Diese Hoffnung, die Pater Profittlich erfüllte, darf uns alle erfüllen, in einer Zeit, die so viele neue Märtyrer zu verzeichnen hat. Ich erwähne hierzu nur kurz das große Projekt des heiligen Papstes Johannes Paul II. für das Heilige Jahr 2000. Er wollte ein Martyrologium des 20. Jahrhunderts erstellen. Ein Team von Historikern arbeitete intensiv daran. Einer von ihnen erzählte mir, dass sie nach 20.000 Kurzbiografien das Projekt abbrachen. Sie waren erst am Anfang der Arbeit, so groß ist die Zahl der Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Gott allein kennt ihrer aller Namen! Ja, wir dürfen hoffen, dass die zahllosen Märtyrer unserer Zeit, allein die 23.000 Namen der Opfer dieses Landes, wie Bischof Eduard von sich sagte „nicht ganz ohne Frucht sein wird“. Das erbitten wir heute von Gott in dem Vertrauen, das ihn damals erfüllte.


Es war jetzt viel vom Martyrium die Rede. Was schon in der Frühzeit an Christen fasziniert hat, war ihre Freude. Im heutigen Evangelium, einem Abschnitt aus dem Gebet Jesu im Abendmahlssaal, bittet Jesus seinen Vater um diese große Gabe: „Jetzt komme ich zu dir und rede dies noch in der Welt, DAMIT SIE MEINE FREUDE IN FÜLLE IN SICH HABEN“. Dieses Gebet Jesu hat sich wirklich in Fülle im Leben von Pater Eduard, Erzbischof Profittlich erfüllt: „Als es dann endlich klar war, dass ich bleiben sollte, war meine Freude so groß, dass ich vor Freude und Dank ein Te Deum gebetet habe. Überhaupt habe ich dabei so sehr das Gnadenwirken Gottes an meiner Seele gespürt, dass ich wohl selten in meinem Leben mich so glücklich gefühlt habe, wie am Abend nach der Entscheidung und dass ich noch nie so andächtig die Heilige Messe gefeiert habe, wie am…Tag der Entscheidung.“


Wir feiern jetzt die Heilige Messe, in der zum ersten Mal Eduard Profittlich im Eucharistischen Hochgebet genannt wird. Möge er uns von Christus, dem er treu nachgefolgt ist, die Freude Christi erbitten, Seine Freude in Fülle!


Amen.


Predigt zur Seligsprechung von Erzbischof Eduard Profittlich
Erik Köster 10. September 2025
Diesen Beitrag teilen
Stichwörter
Archiv
Anmelden , um einen Kommentar zu hinterlassen
AK FOOKUS ⟩ Märterpiiskop Eduard Profittlich tõi ohvri katoliku kiriku ja Eesti eest
Peapiiskop Eduard Profittlich (paremalt teine) 1930. aastate lõpus Eestis tegutsenud katoliku vaimulike keskel.